Konfirmation 2022/2023

Konfirmation 2022/2023

Am 4., 17. und 18. Juni 2023 fanden die Konfirmationen statt.

Hier die Konfirmationspredigt von Pfarrer Uwe Crone:

 

In unserem Haushalt ist alles genau aufgeteilt. Ich bin zum Beispiel dafür zuständig, wertvolles Porzellan zu zerstören.

Es sind ja immer die wertvollen Dinge, die kaputt gehen. Grundsätzlich. Und das ist richtig traurig, weil da jede Menge Erinnerungen dran hängen, an dem, was ich da kaputt gemacht habe.

Das letzte, was ich kaputt gemacht habe, war eine Auflaufform von Birgit, meiner Frau. Die lag ihr sehr am Herzen, weil sie die schon lange hatte. Einfach fallengelassen, peng, zersplittert. Sie war sehr traurig über mein Missgeschick.

Es ist immer dasselbe: Man könnte das gute Stück kleben, aber man würde sehen, dass es repariert wurde.

Ich habe auch das schon mal gemacht. Porzellankleber gekauft. Mir viel Mühe gegeben. Aber man sieht dann, dass es geklebt ist. Man sieht die Bruchstellen, man sieht, dass es mal in Scherben lag. Der Gesamteindruck ist: das Porzellan ist geflickt. Die Schönheit ist weg. Es ist wertlos.

Also – die Mühe kann ich mir sparen.

Was macht man in einen solchen Fall?

Kehrblech, Handfeger, entsorgen, was Neues als Ersatz beschaffen.

Kann man so machen. Oder man macht es wie die Japaner. Die haben eine andere Art, damit umzugehen:

In Japan haben sie eine Kunst entwickelt, wie sie Porzellan reparieren, das zerbrochen ist. Zuerst werden die Scherben mit Kitt wieder zusammengeklebt, mit einem ganz speziellen. Da ist Goldstaub eingearbeitet. Fehlende Stücke werden mit diesem Kitt ersetzt. (Ich vermute, bei der Schale auf unserem Bild ist das so gemacht worden.) Und die Bruchstellen werden dann auch noch mit Goldstaub beschichtet.

So werden die Risse und die beschädigten Stellen nicht verborgen. Denn nichts lässt sich so reparieren, dass man die Schäden nicht mehr sieht. Deswegen gehen sie anders vor: die Risse werden regelrecht hervorgehoben. Die „Narben“ bleiben sichtbar.

Und es sieht trotzdem toll aus (wenn’s gut gemacht wird). Denn die feinen Gold-Adern, die entstanden sind, die das Porzellan durchlaufen, machen das Stück einzigartig. Ganz besonders. Und es sieht gar nicht mehr so aus wie etwas, das in den Müll gehört.

Diese besondere japanische Kunst der Porzellanreparatur heißt Kintsugi. Es gibt regelrechte Kintsugi-Meister, die diese Kunst zur Perfektion bringen.

Die „Narben“ bleiben also sichtbar, das ist beabsichtigt – aber sie sind jetzt vergoldet. Das zerbrochene und so wieder zusammengefügte Gefäß wird so viel kostbarer, wertvoller, individueller, als es das alte Stück war. Es trägt die Spuren des Vergangenen, und sichtbar auch die Brüche und die Narben.

Jede wiederhergestellte Schale, jede Tasse, jede Schüssel zeigt auf diese Weise: es ist möglich, wieder ein Ganzes zu werden, etwas Kunstvolles, Neues. Ein Gefäß, das neu gefüllt werden kann.

Wie schnell auch ein Leben in Scherben zerfallen kann, haben wir alle in der Corona-Zeit gemerkt. Auf einmal war nichts mehr sicher. Nichts war mehr selbstverständlich. Kontakte waren eingeschränkt. Verwandte, Freund*innen besuchen – nicht mehr möglich. Verwandte im Altenheim – kein Gedanke daran. Viele Gemeinschaftserlebnisse wurden schwierig bis unmöglich. Das war das Schlimmste.

Heute im Rückblick staunen wir oft, wie wir da durchgekommen sind. Aber Narben hat das hinterlassen. Bei fast jedem, bei fast jeder.

Und ihr Jugendlichen habt das besonders mitbekommen. Das hat Spuren bei euch hinterlassen, kleine, oder auch bei dem einen oder der anderen größere. Eure Altersgruppe wird ja manchmal sogar als „Generation Corona“ bezeichnet! Ihr musstet das, was eigentlich selbstverständlich ist, persönlicher Kontakt zu Gleichaltrigen, erst fast wieder neu lernen.

Unsere Konfi-Zeit haben wir einigermaßen unbeschadet hinter uns gebracht. Den vorletzten Kurs vor euch hatte ich noch abgesagt. Nur vereinzelt fehlte bei uns jemand wegen Corona. Wie gut!

Aber eine konnte nicht mit aufs Konfi-Camp fahren. Traurig war das. Könnt ihr euch noch erinnern, als wir dort die Tests mit allen gemacht haben? Wie erleichtert wir waren; dass alle Tests negativ waren?

Aber allein die Erinnerung daran und an diese ganze belastende Zeit ist so etwas wie eine Narbe, die bleiben wird.

Ob es die größte ist für euch, weiß ich nicht. Viele andere Dinge können ja auch ein Leben in Scherben gehen lassen und werden dann Narben hinterlassen. Und manches davon war ja auch Thema in unserem Kurs.

Wenn wir uns streiten mit Menschen, die uns wichtig sind. Wenn eine Beziehung daran zerbricht.
Oder sogar eine Familie.

Wenn wir andere schlimme Dinge erleben, die uns aus der Bahn werfen. Ein naher Mensch oder du selbst wirst schwer krank.

Du verlierst einen lieben Menschen. Er stirbt.

Es wäre ja toll, wenn in unserem Leben alles glattgehen würde. Wenn alles immer heil bliebe, glänzend wäre und schön. Wir hätten das gern. Und es wäre toll, wenn Gott uns das garantieren und versprechen würde. Aber das tut Gott so nicht.

Wir müssen uns nur mal in der Welt umschauen.

Zum Leben gehört es einfach auch dazu, dass etwas in Scherben zerbricht.

Freundschaften können zerbrechen, Vertrauen kann missbraucht werden und zerbrechen. Die Hoffnung auf ein gutes Zeugnis zerplatzt.

Man wäre so gern beliebt, stünde gern mal im Mittelpunkt, wäre gern bewundert. Aber das haut nicht hin.

Manche von euch sind Sportler*innen. Ihr kennt das dann: Man hofft auf einen Sieg, aber raus kommt eine Niederlage. Verloren.

Wahrscheinlich könnt ihr selbst noch viel mehr aufzählen. Von all dem bleiben wir nicht verschont. Da ist es übrigens ganz egal, wie alt man ist. Das geht auch Erwachsenen so. Niemand geht durch dieses Leben, ohne dass er oder sie auch einmal Brüche erfährt. Dazu gibt es zu viele schlimme, beängstigende, böse Erfahrungen.

Wie gesagt: es wäre toll, wenn’s anders wäre! Und wir erleben ja auch viel Gutes. Zum Glück!

Manche aber erwarten auch von Gott ein Leben ohne Risse, Brüche und Scherben – und sind dann wütend und enttäuscht und fühlen sich von Gott im Stich gelassen, wenn es anders kommt.

Sehr verständlich. Und gut biblisch. In den Psalmen (kennt ihr!) kann man Leute entdecken, die Gott regelrecht anklagen, wenn sie Schweres durchmachen, und auf ihn schimpfen: „Was mutest du mir zu, Gott? Ich will das nicht.“

Aber in diesen Sätzen ist dann auch schon ein Weg angelegt. Sie reden Gott an. Sie sind wütend auf ihn. Und lassen ihn das hören.

Aber ist das nicht auch schon Beten?

Ich finde, ja. Sie haben jemand, den sie ansprechen können. Und das Gespräch mit Gott verändert sie. Und das Gespräch mit Gott kann uns verändern: Wenn wir wütend sind und trauern und das Gott sagen, können wir auch die Kraft entdecken, die er uns schenkt. Wie er uns weiterbringt, uns neue Perspektiven gibt:

Wenn wir uns gestritten haben, uns zu versöhnen.

Wenn wir schlimme Erfahrungen gemacht haben, zu merken, wie wir daran gewachsen sind.

Wie wir mit einer Einschränkung zu leben gelernt haben.

Wenn wir um einen Menschen trauern, uns zu erinnern, was wir Gutes mit diesem Menschen erlebt haben und was wir ihm zu verdanken haben.

Und jetzt komme ich nochmal zu den Psalmen. Das heißt, zu einem Psalm, den jemand gebetet hat, der das erlebt hat, wie Gott die Bruchstücke seines Lebens wieder zusammengesetzt hat.

„Gott heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden.“

Das war ja ganz am Anfang unseres Gottesdienstes, da haben wir diese Worte aus Psalm 147 gebetet. Wo meine Kraft nicht ausreicht, die Scherben wieder zusammenzufügen, da darf ich sie einfach Gott hinhalten, dass er sie zusammenfügt und neu verleimt – mit seiner großen Barmherzigkeit.

Ich glaube, nur so können wir heil werden.

Aber das ist keine glatte Heilung. Da bleiben Brüche und Narben zurück.

Normalerweise setzen wir ja alles daran, dass niemand sieht, was bei uns nicht perfekt ist. Unsere Brüche und Narben verstecken wir ja lieber. Unvorstellbar, wenn jemand die sehen würde! Wie würde ich dann dastehen! Lieber möchte ich mich stark und unverletzlich zeigen.

Und auch das ist Thema für euch, meine Lieben, immer wieder. Und besonders in dieser Zeit eures Lebens. Aber macht euch keine Gedanken – nicht nur für euch, das gilt für alle hier!

Es gibt Phasen im Leben, die sind echt schwierig und dann zweifelt man auch schon mal an sich und ist unzufrieden. Und genau in diesen Phasen kommt es darauf an, dass wir uns ihnen stellen. Dann können sie uns zu etwas ganz Eigenem, Besonderen machen, weil wir daran wachsen, weil wir sie bewältigen können oder mit ihnen leben, weil Gott heil macht.

Diese Bruchstellen gehören zu meinem Leben dazu. Ich kann zwar versuchen, sie zu verleugnen und zu verstecken, aber sie sind und sie bleiben ein Teil von mir. Und sie beeinflussen mich in meinem Denken und Handeln, ob ich will oder nicht.

Ich finde es tröstlich, dass Gott aus den Bruchstücken in meinem Leben etwas Neues und Schönes gestalten kann. Das Alte, das Verletzte wird dabei nicht verleugnet, die Bruchstellen werden bewusst sichtbar gemacht. Ich muss mich nicht schämen, sie zu zeigen. Ja, sie gehören zu meinem Leben dazu, und das ist nichts Schlimmes, nichts, was ich verstecken müsste.

Das würde uns vieles leichter machen, wenn wir unsere eigenen Verletzungen, unsere Lebensscherben, unsere Zerbrechlichkeit und unser Scheitern nicht verstecken, sondern zeigen könnten. Wenn sie mit Gold angepinselt wären. Damit sie strahlen, weil sie doch zu uns gehören und uns wertvoll machen. Unperfekt und doch vollkommen. Nur im Gesamten ein Kunstwerk. Mit allen Rissen, die unser Leben mit sich bringt.

Und ja, weil sie zeigen: Hier hat eine Veränderung stattgefunden, hier ist Neues entstanden, vielleicht nach längerer Zeit erst, schnell geht das nicht, man braucht Geduld und Vertrauen. Aber irgendwann erkennt man hoffentlich: die Bruchstücke sind wunderbar eingefügt worden. Gott ist der größte Kintsugi-Meister. Er hat sie vergoldet, er hat sie veredelt. Es ist möglich, wieder ein Ganzes zu werden. Ein Gefäß, das sich neu mit Leben füllt, mit Liebe und mit der Sehnsucht nach Glück.

Gott kennt uns sowieso ziemlich gut, besser als jede*r andere. Und er weiß, dass wir keine perfekten Menschen sind, auf denen keine Spuren des Lebens zu sehen sind.

Die Goldlinien, mit denen er unsere Macken und Kratzer und Brüche nachzeichnet, lassen die Liebe Gottes geradezu leuchten.

Was für ein erstaunlicher Blick auf mich, auf uns, auf Gott tut sich da auf! Vielleicht gehen wir alle mal beim größten Kintsugi-Meister in die Lehre!

Ich auch. Aber ich fange erstmal klein an. Und überrasche meine Frau: Die nächste Vase, die mir aus den Händen fällt, klebe ich nach Kintsugi-Art zusammen, und mache sie so zu einem neuen, einzigartigen Kunstwerk.

Sie wird’s toll finden!

Bestimmt!

Amen.

Joshua Speckels