Gedanken im Juni & Juli

Gedanken im Juni & Juli

1.Kor. 13, 13:

Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

Liebe Leserinnen und Leser,

eine kleine Geschichte: Es wird berichtet, dass der Dichter Rainer Maria Rilke in der Zeit seines Pariser Aufenthaltes im Sommer regelmäßig über einen Platz ging, an dem eine Bettlerin saß, die die Vorbeigehenden um Geld bat. Ohne je aufzublicken, ohne ein Zeichen des Bittens oder Dankens zu äußern, saß die Frau immer am gleichen Ort. Rilke gab nie etwas, seine französische Begleiterin gab ihr häufig ein kleines Geldstück.

Eines Tages fragte die Französin verwundert, warum er der Frau nichts gebe. Rilke antwortete: „Wir müssen ihrem Herzen etwas schenken, nicht ihrer Hand.“

Wenige Tage später brachte er eine eben aufgeblühte weiße Rose mit, legte sie in die offene, abgezehrte Hand der Bettlerin und wollte weitergehen. Da geschah das Unerwartete: Die Frau blickte auf die Blume, sah den Geber, erhob sich mühsam von der Erde, tastete nach der Hand des fremden Mannes, küsste sie und ging mit der Rose davon. Eine Woche lang war sie danach verschwunden; der Platz, an dem sie vorher gesessen hatte, blieb leer.

Nach acht Tagen saß sie dann plötzlich wieder an der gewohnten Stelle. Sie war stumm wie damals, wieder ihre Bedürftigkeit nur zeigend durch ihre ausgestreckte Hand. „Aber wovon hat sie denn in all den Tagen gelebt?“ fragte die Französin. Rilke antwortete: „Von der Rose und der Liebe, die in diesem Geschenk lag …“

Diese Erfahrung von geschenkter und empfangener Liebe wünsche ich Ihnen allen in diesem Sommer, liebe Leserinnen und Leser! Eine gesegnete Zeit!

Ihr Pfr. Thomas Janetzki

admin